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Annäherung an ein Gefühl

Kurze Zeit später nimmt Gummersbachs Kollege Andreas Kaling auf seinem mächtigen Baritonsaxofon die Motive auf, umspielt und ergänzt sie zu einem dunklen Klangcluster. Hier hinein fallen die ersten Worte des bis dahin regungslos zwischen beiden Musikern verharrenden Schauspielers Michael Grunert: „Meine Heimat. Mein Land. Meine Landsleute. Meine Sprache. Meine Geschichte. Mein Krieg. Mein Sieg.“ Und später: „Mein Nachbar. Mein Feind in meiner Zeit.“ Grunert zitiert ein Gedicht von Zehra Cirak und deutet mit seinen Worten sogleich den Kern als auch die ganze Weite des Veranstaltungsthemas an.

Unter dem Titel „Heimat – Annäherung an ein Gefühl“ hatte in der vergangenen Woche das Kulturforum PRIMUSic & art zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema „Heimat“ in das Forum der PRIMUS Schule eingeladen. Beteiligt waren Schülerinnen und Schüler des Faches Darstellen und Gestalten sowie Personen, die im Ortsteil Dankersen oder in Minden aufgewachsen sind, und dort ihr bisheriges Leben verbracht haben. Die Veranstaltung fand auf Initiative des Schauspielers Michael Grunert vom Theaterlabor Bielefeld statt, der an diesem Abend ebenso mitwirkte wie das Saxofon-Duo Leptophonics.

Im Laufe des zweistündigen Programms boten die drei professionellen Künstler ein beeindruckendes Zusammenwirken von Musik, Schauspiel und Text. So ließen Grunerts Schilderungen seiner Kindheit in einem rheinländischen Dorf sowie seiner späteren Rückkehr dorthin beim Zuschauer durch die Verflechtung von ausdrucksvoller Sprache und unterstützenden Saxofonklängen innere Bilder ebenso entstehen wie der schon fast beklemmend wirkende Text „Morgen geht es weiter“. Der Schaupieler beschreibt hier aus der Sicht eines Kindes die Tragödie einer Familie, die sich auf der Flucht aus der durch Bomben zerstörten Heimat befindet. Michael Grunert erreicht dabei eine besonders verstörende Wirkung, indem er während seines Vortrages an einem Tisch sitzt, Papierflieger faltet und diese ins Publikum wirft. Kontrastierend hierzu wirkte das im Anschluss vorgetragene Gesangsarrangement des Liedes „Heimat, deine Sterne“ aus dem Jahr 1941, das den Zwiespalt verkörpert zwischen eigener Heimatverbundenheit und Zweckentfremdung. Neben den Profis beeindruckten in dem collageartig zusammengestellten Programm aber auch die von den PRIMUS-Lehrern Matthis Weege und Johannes Sokoll betreuten Schülerinnen und Schüler des Faches Darstellen und Gestalten. Während die Jüngeren aus dem sechsten Jahrgang Robert Schumanns Klavierkomposition „Von fremden Ländern und Menschen“ in einer Bewegungs- und Tanzchoreografie interpretierten, überzeugte der Jahrgang 10 mit selbst verfassten, ausdrucksstark und mit Empathie vorgetragenen Texten, in denen sie sich mit Themen wie „Heimat und Identität“, „Heimat verlassen“ oder „Heimat bei einem geliebten Menschen finden“ befassten. Nicht weniger hervorzuheben ist hier auch die Darbietung des Liedes „Home“ von Michael Buble`, das Chantal Onumkpu wunderbar vortrug und dabei von Lia Kemena am Flügel und den Leptophonics begleitet wurde.

Einen wichtigen und bemerkenswerten Programmpunkt nahm schließlich ein Interview ein, das Michael Grunert mit zwei älteren Herren aus Dankersen und Minden führte, und das den Begriff „Heimat“ den Anwesenden unmittelbar vor Augen hielt. Zu eingeblendeten Fotos aus der Kindheit schilderte zunächst Günter Buhrmester sein Aufwachsen im Ortsteil „Hasenkamp“, die täglichen Auseinandersetzungen mit den Kindern des Nachbardorfes sowie die amüsante Geschichte einer Jugendliebe. Hanns-Joachim Zwiefka erinnerte in seinen Berichten und Bildern an das Tanzlokal „Grille“. Dorthin, wo sich heute ein Lebensmittel- und ein Textildiscounter befindet, hatte er seine Jugendliebe seinerzeit begleitet. Dafür hatte er allsonntäglich einen langen Fußweg von Bärenkämpen nach Dankersen auf sich nehmen müssen.

Michael Grunert und die Leptophonics beendeten den Abend mit der Kinderhymne nach einem Gedicht von Berthold Brecht, nicht ohne im Anschluss alle Beteiligten auf der Bühne zu versammeln.

Das Publikum dankte für eine eindrucksvolle Annäherung an ein vielschichtiges Thema mit langanhaltendem Applaus.